Keine Entwarnung bei Medikamentenengpässen

Mangelnde Verfügbarkeit wesentlicher Medikamenten: aktuell ein gravierendes Problem. Und das ist nicht der einzige Brandherd.

Die mangelnde Verfügbarkeit von wesentlichen Medikamenten ist – besonders in der Diabetes-Schwerpunkt-Praxis – derzeit so problematisch, dass es ein riesiger Zeitaufwand ist, den Patienten bei ihrer Suche nach einer Apotheke zu helfen, die eventuell noch aushelfen können. Passende Medikamente stellen oft Mangelware dar.

Ich hatte gerade eine Patientin, die durch 29 Apotheken gezogen ist, um ihr spezielles Medikament zu bekommen. Ich habe immer die Frage im Kopf: Kenne ich vielleicht doch noch einen Apotheker, der vielleicht etwas zurückstellen könnte? Diese Situation ist längst nicht mehr neu. Sie ist bekannt. Und sie hat sich keinesfalls verbessert.

Mangelnde Verfügbarkeit – auch bei Ausweichmedikamenten

Ein Riesenproblem ist, dass auch die Ausweichmedikamente von der Knappheit betroffen sind. Also nicht nur das Semaglutide, sondern auch das Dulaglutide, das Liraglutide. Ich kriege täglich fünf bis zehn Mails oder Anrufe von Patientinnen, die fragen: Was soll ich tun? Wie kann ich überbrücken? Was passiert jetzt mit einem Körper? Wie soll ich das handhaben? Das ist jetzt seit einem halben Jahr so und es erschwert den Praxisalltag enorm.

Also, was tue ich? Ich kann ja nicht zaubern. Ich habe auch nichts mehr in der Schublade. Im schlimmsten Fall muss ich die Therapie komplett umstellen, sodass ich einen Patienten auch vorübergehend insulinieren muss, der eigentlich nicht insuliniert ist. Der Patient muss dann seine Ernährung noch mehr kontrollieren. Und im Extremfall ist der Erfolg, den man aufgebaut hatte, gefährdet. Das sind die Konsequenzen, wenn Patienten vier bis sechs Wochen nicht an ihre Medikamente herankommen.

Das alles nervt natürlich sehr und ist auf die Dauer ermüdend. Diese vielen Nachfragen, die zusätzlich notwendige Beratung bei immer mehr Patientinnen und Patienten. Und wir kommen da einfach nicht weiter in Richtung einer Lösung. Und das geht immer weiter: auch das neue Medikament Mounjaro ist in Deutschland zwar zugelassen, aber nicht verfügbar. 

Nicht alle Insulinpumpen sind mit gängigen CGM-Systemen kompatibel

Die Firmen produzieren, aber es reicht nicht. Es ist derzeit auch ein Run auf diese bestimmte Medikamentengruppe. Sie hat eben auch die Zulassung für die Adipositas-Behandlung. Das Wegovy beispielsweise, ein neues Selbstzahlermedikament auf dem deutschen Markt, gehört zu dieser Gruppe und hat auch die Zulassung für Adipositas. Und die Produktion kommt anscheinend nicht hinterher. Auch Insulinpumpen, die neu auf den Markt kommen sollten, sind nicht auf dem Markt. Und nicht alle Insulinpumpen sind mit den gängigen CGM-Systemen kompatibel, auch das Thema Interoperabilität ist nicht gelöst. Es kostet viel zusätzliche Kraft, damit umzugehen.

Das gilt natürlich nicht nur für die Ärztin, sondern auch für die Mitarbeiterinnen am Counter, die sich den ganzen berechtigten Patientenfrust anhören müssen. Wir haben ja außerdem noch Probleme mit dem Fachkräftemangel, mit der Digitalisierung in den Praxen. Zugleich müssen wir immer wieder gerüstet sein für Innovationen. Da wundert es mich nicht, dass manche Kolleginnen und Kollegen, die den Ruhestand vor Augen haben, jetzt hinwerfen und vorzeitig ausscheiden. Es ist einfach nicht erkennbar, dass sich die Versorgungssituation in absehbarer Zeit verbessert. 

Politik lässt ambulante Diabetologie im Stich

Hinzu kommt: Ich fühle mich als niedergelassene Diabetologin von der Politik nicht adäquat gesehen. In der Krankenhausreform sind eher die Krankenhäuser angesprochen, aber die ambulante Diabetologie ist das Rückgrat der Diabetesversorgung. Und dass das nicht ausreichend gesehen wird, ist ein Problem. Es gibt immer weniger Krankenhäuser, die Diabetologen ausbilden können. Auch das übernehmen die Niederlassungen. Gefördert wird das aber nicht - obwohl die Diabetes-Diagnose weiterhin explodiert, auch für Typ-1-Diabetes. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass man die Nachwuchsförderung nicht genug auf dem Schirm hat. Es gibt zu wenige Studienplätze, das Augenmerk auf dem Numerus Clausus ist längst nicht mehr zeitgemäß. 

Das, was wir alle in der Pandemie geleistet haben, ist ohnehin vergessen. Und zugleich sagen die Kassen, wir Ärztinnen und Ärzte gehören zu den Besserverdienenden und sollen  bescheiden sein bei den Budgetverhandlungen. Inflationsausgleich, den wir unseren Mitarbeiterinnen zahlen, höhere Gehälter, gestiegene Energiekosten, höhere Praxismieten - das bildet sich in unserer Bezahlung überhaupt nicht ab. Kurz: Für eine engagierte Ärztin gibt es genug, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Und das tue ich auch in unserem neu gegründeten Berliner Ärztinnen-Netzwerk “Die Hauptstadtdiabetologinnen”. Die Idee ist, Coaching und Netzwerken, denn zusammen schafft man immer mehr. Die Kraftquelle, die mich antreibt und weitermachen lässt, ist einfach die Liebe zum Beruf. Und die wird durch Teilen mit anderen immer mehr.

Dr. med. Iris Dötsch

Dr. med. Iris Dötsch ist Fachärztin für Innere Medizin und Akupunktur mit den Zusatzqualifikationen zur Diabetologin DDG sowie Ernährungsmedizinerin. Frau Dötsch ist niedergelassen in einer eigenen Diabetologischen Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm. Ihre Praxis ist als Diabetolokikum DDG anerkannt sowie zertifizierte Fußambulanz nach DDG.