Alle kennen Angst – aber die Freude über die Fortschritte beim Impfen überwiegt

Vor einem Jahr startete die Online-Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis", ein Fortbildungsformat der Ärzteplattform esanum. Seitdem ist viel passiert. Jede Ärztin, jeder Arzt hat Neues gelernt und geleistet. Die Expertenrunde setzt diesmal einen neurologischen und psychiatrischen Schwerpunktunter dem Titel "Was macht Angst?".

Ängsten auf den Grund gegangen

Vor einem Jahr startete die Online-Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis", ein Fortbildungsformat der Ärzteplattform esanum. Seitdem ist viel passiert. Jede Ärztin, jeder Arzt hat Neues gelernt und geleistet. Die Expertenrunde setzt diesmal einen neurologischen und psychiatrischen Schwerpunktunter dem Titel "Was macht Angst?". Dazu diskutieren und informieren im Livestream hochkarätige ExpertInnen. In zwei Stunden erleben die Teilnehmenden ein ganzes Paket aus Informationen, wissenschaftlicher Expertise und Tipps. Ziel der Veranstaltung: Konkrete Handlungsempfehlungen für Hausarztpraxen. Zu Beginn betont Dr. Petra Sandow, Berliner Hausärztin und Moderatorin der Veranstaltung, die erfreuliche Nachricht: Rund 24% der Bevölkerung sind erstgemipft. Vollständig geimpft sind 7%.

Angst in der Pandemie aus neurologischer Sicht

So konzentrierte sich die Neurologin und Schmerztherapeutin Dr. Astrid Gendolla aus Essen darauf, Haus- und AllgemeinärztInnen Tipps zu geben, wie sie auf neurologische Anzeichen (Geruchs- und Geschmackstörung) von Corona-Infektionen und Impfnebenwirkungen (Kopfschmerzen, Aphasien, Ausfallsymyptome) schnell reagieren können. Ihre aktuelle Praxisbeobachtung: Viele PatientInnen kommen gut aufgeklärt zur Impfung, es überwiegt das Glück, den Impfschutz zu bekommen. Wer viel Resilienz aufbauen konnte im Leben, kommt jetzt besser zurecht.

Angst und Depression in der Pandemie aus psychiatrischer Sicht

Auch der Leiter der Gerontopsychiatrie des Charité-Lehrkrankenhauses KEH, Prof. Torsten Kratz, gibt konkrete Tipps. Psychiatrische Erkrankungen unter dem medizinischen Personal sind ein großes Thema, weit mehr als in der Allgemeinbevölkerung. Sein Befund: Starke Beteiligung der psychischen und sozialen Faktoren bei Erkrankungen nehmen derzeit deutlich zu. Das Hauptproblem ist Isolation. Dazu der Medienkonsum - vor allem mit immer mehr negativen Inhalten. Auch Geldsorgen und Schulschließungen machen krank. Bei gleichzeitiger Abnahme ambulanter Angebote kommt es zu mehr Klinikeinweisungen. HausärztInnen rät er: Fragen nach Sie nach gedrückter Stimmung, Schlafstörung, Appetit- und Lustlosigkeit. Bei Älteren verbergen sich Depressionen häufig hinter körperlichen Beschwerden. Faustregel für die Praxis: Wenn aus drei verschiedenen Organbereichen undefinierbare Beschwerden vorliegen, wie Schwindel, Herzrasen, Beine knicken weg, ist das ein Hinweis auf eine mögliche Depression. Generalisierte Angststörungen nehmen klar zu. Empfehlung für Hausärzte: Das Kurz-Programm "PARADIES", um Angsterkrankungen anzubehandeln.

Live-Schalte zur Diskussion

Live zugeschaltet sind dann Prof. Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin und Prof. Peter Berlit, Facharzt und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Sorgen in der Psychiatrie

Psychiaterin Heuser-Collier sorgt sich: Wir schieben in allen Fachbereichen eine riesige Bugwelle vor uns her, weil viele Erkrankungen zuletzt vernachlässigt wurden. Sie sieht derzeit vor allem Schwerstdepressive nach Suizidversuch auf den Stationen. Je mehr Härten auf Menschen zukommen, desto mehr psychiatrische Erkrankungen werden auftreten - besonders Sucht, Borderline und affektive Störungen. Dennoch bleibt positiv anzumerken: Die jetzt üblichen Videokonferenzen und Skype-Gespräche sind ein Vorteil für MedizinerInnen und PatientInnen. Vor allem: Man muss bei Online-Kontakten keine Maske tragen, kann Gesicht zeigen.

Long COVID aus neurologischer Sicht

Der Neurologe, Prof. Berlit, weist auf die multifaktorielle Genese hin. Noch sei nicht ganz klar, wie das einzuordnen ist. Symptome sind aber ernst zu nehmen. Gedächtnis- und Konzentrationssymptome sind beispielsweise messbar. Und nicht zu vergessen: Jede Erkrankung hat auch eine psychosomatische Komponente.

Zur Impfstoffdiskussion meint der Experte: Die vakzine-induzierte Gerinnungsstörung ist belegt, wird aktuell weiter analysiert. Doch klar ist bereits: Eine Vorerkrankung mit klassischen Thrombosen spielt keine Rolle. Auch eine immunologische Vorerkrankung stellt keine Einschränkung dar. Wichtig für HausärztInnen sei, die Symptome der sehr seltenen Komplikationen nach der Impfung rechtzeitig zu erkennen - und dann ganz schnell zu handeln.

Wieviel Zeit haben Hausärzte dafür, fragt Dr. Sandow: wann muss ich handeln? Antwort Dr. Gendolla: Sofort zu FachärztInnen weiterleiten!

Wie umgehen mit der Angst vor einem bestimmten Impfstoff?

Prof. Heuser-Collier meint: Wir können PatientInnen nicht überwältigen. Wenn wir nicht überzeugen können, dann müssen wir etwas anderes anbieten. Wichtig ist, dass geimpft wird.

"Der aufgeklärte, informierte Patient, den wir uns immer gewünscht haben, wird jetzt manchmal anstrengend", fügt sie lachend hinzu.

Botschaft an die Community

Jeder der vier Fachleute hat ein Anliegen für die KollegInnen mitgebracht.

Praxistipps: wie und wann impfen?

Die Systematik und Wirkweise der zur Verfügung stehenden Impfstoffe fasst Dr. Sandow am Schluss zusammen und erklärt, warum mRNA-Impfstoffe nicht in die DNA eingreifen und warum die Vektorimpfstoffe auf Affen-Adeno-Viren beruhen. Auch eine Übersicht zur Bestellung der Impfstoffe bis zu den aktuellen Abrechnungsregeln gibt sie.

Und wie kam die Sendung an?

Im Live-Voting bewerten 87 Prozent die Online-Veranstaltung als "informativ und nützlich für ihre Arbeit". 13 Prozent hätten gern "noch mehr erfahren".