Erste Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von PCOS
Nach Erscheinen der internationalen Leitlinien zum polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) im Jahr 2023 stehen nun erstmals auch nationale Empfehlungen auf S2k-Niveau zur Verfügung<sup>1</sup>.
PCOS – das Wichtigste auf einen Blick:
- Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) gehört zu den häufigsten endokrinologischen und metabolischen Störungen und betrifft 8–13 % aller Frauen im reproduktiven Alter.
- Pathophysiologisch liegt eine Störung des zentral-ovariellen Regelkreises zugrunde, die zu einem hormonellen Ungleichgewicht mit Zyklusstörungen und Hyperandrogenämie führt.
- Die Therapie erfolgt symptomatisch und umfasst multimodale Basismaßnahmen sowie verschiedene medikamentöse Ansätze.
- Eine wichtige Säule der Pharmakotherapie sind hormonale Kontrazeptiva. Sie sollten bei Frauen mit PCOS im reproduktiven Alter ohne Kinderwunsch zur Therapie von Hyperandrogenismus und/oder Zyklusstörungen eingesetzt werden (Konsensstärke 100 %).
Die neue Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) war lange erwartet worden. Seit dem 06.08.2025 steht die Langfassung zur Verfügung1, eine Leitlinie für Patientinnen soll noch in diesem Jahr folgen.
In drei Schritten zur richtigen Diagnose
Die Herausforderungen beim PCOS fangen schon bei der Diagnose an. Da die Symptome größtenteils unspezifisch sind und anderen Erkrankungen ähneln, müssen diese zunächst ausgeschlossen werden. Für die Diagnosestellung wurden die gängigen Rotterdam-Kriterien präzisiert. Demnach liegt ein PCOS vor, wenn mindestens 2 der 3 folgenden Kriterien erfüllt sind:
- klinischer und/oder biochemischer Hyperandrogenismus (Alopezie, Akne und Hirsutismus; Hyperandrogenämie)
- ovulatorische Dysfunktion (Oligo- und/oder Anovulation)
- polyzystische Ovarmorphologie (PCOM, transvaginal > 20 Follikel jeweils 2–9 mm im Durchmesser und/oder Ovarvolumen > 10 ml) und/oder hohe AMH (Anti-Müller-Hormon)-Konzentration und Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen
Da Frauen mit gesichertem PCOS ein 3fach erhöhtes Risiko für einen Gestationsdiabetes, eine pathologische Glukosetoleranz und einen Typ-2-Diabetes aufweisen, wird die Überprüfung der Glukosestoffwechsellage durch HbA1c und Nüchternglukose initial bei allen Patientinnen empfohlen. Zudem sollten bei Erstvorstellung Gewicht, Größe, BMI und Taillenumfang bestimmt werden und ein Screening auf weitere PCOS-assoziierte Komorbiditäten wie Lebererkrankungen, schlafbezogene Atemstörungen, Endometriumkarzinom, Autoimmunthyreoiditis, Depression und Essstörungen erfolgen. Die Überprüfung von Gewicht, Blutdruck, Zucker- und Fettstoffwechsel sollte außerdem regelmäßig im Verlauf durchgeführt werden, um ggf. rechtzeitig präventive und therapeutische Maßnahmen einzuleiten.
Nicht vergessen: die Lebensqualität
Viele Frauen mit PCOS sind in den körperlichen und psychischen Dimensionen ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt, insbesondere im Zusammenhang mit Zyklusstörungen, Körpergewicht, Hirsutismus und emotionalem Wohlbefinden. Daher wird ein Screening der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) bei Erstdiagnose sowie im Therapieverlauf empfohlen. Der krankheitsspezifische Fragebogen PCOS-Q (Polycystic Ovary Syndrome Health-Related Quality of Life Questionnaire) wurde auch für den deutschsprachigen Raum validiert und zeigte bei allen Symptomdimensionen signifikant geringere Werte als bei einer gesunden Kontrollstichprobe.2
Medikamente bei PCOS oft nur off label
Die Therapie des PCOS richtet sich nach den jeweiligen klinischen Manifestationen und Beschwerden. Die große Heterogenität des Krankheitsbildes erfordert eine individuelle Behandlungsstrategie für jede einzelne Patientin. Erschwerend kommt hinzu, dass Medikamente bei PCOS oft nur im Off-Label-Use eingesetzt werden können. Zwar haben einige Wirkstoffe eine Zulassung zur Behandlung spezifischer Teilsymptome oder assoziierter Komorbiditäten, nicht jedoch für PCOS selbst.
Wichtig zu wissen: Beim Off-Label-Use werden Arzneimittel außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete eingesetzt. Davon abzugrenzen ist die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit. Eine Behandlung kann evidenzbasiert sein, obwohl sie off-label ist. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln ist Ärzten außerdem grundsätzlich erlaubt.
Orale Kontrazeptiva regulieren die hormonelle Dysfunktion
Neben Medikamenten zur Behandlung von Komorbiditäten wie Diabetes, Adipositas, Dyslipidämie und arterieller Hypertonie sind orale Kontrazeptiva eine zentrale Säule der Pharmakotherapie, da sie direkt in den gestörten hormonellen Regelkreis bei PCOS eingreifen. Bei Frauen, die aktuell nicht schwanger werden wollen, haben sich kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) fest bewährt. Sie wirken symptomatisch bei Oligo-/Amenorrhoe sowie Hyperandrogenämie und Androgenisierungssymptomen wie Akne und Hirsutismus. Zusätzlich wirkt die Gestagenkomponente protektiv auf das Endometrium, was einer malignen Entartung infolge chronisch anovulatorischer Zyklen vorbeugt.
Zu den neueren KOK gehört u. a. die Kombination aus Dienogest (DNG) und dem natürlichen Estrogen Estradiolvalerat (E2V). Obwohl es bislang nur wenige Untersuchungen bei Frauen mit PCOS gibt, deuten Ergebnisse einer Beobachtungsstudie3 darauf hin, dass DNG/E2V bei jungen Patientinnen mit milder bis moderater Akne zu einem Abfall des Gesamttestosterons und einem signifikanten Anstieg des hepatischen SHGB (Sexualhormon-bindendes Globulin) führt, wodurch das frei verfügbare Testosteron verstärkt gebunden wird. Klinisch verbesserte sich das Hautbild nach einer Anwendungsdauer von 12 Monaten signifikant.3 Darüber hinaus konnten bei leicht übergewichtigen Frauen mit PCOS positive Effekte von DNG/E2V auf den Glucose-/Insulinstoffwechsel nachgewiesen werden.4 Da gerade solche Nebeneffekte auf den Stoffwechsel bei PCOS relevant sind, erachten die Leitlinienautoren Kombinationen wie DNG/E2V als mögliche Alternative zu herkömmlichen KOK bei Patientinnen mit erhöhtem metabolischen Risikoprofil. Dies müsse durch aussagekräftige Studien jedoch noch bestätigt werden.
Bei erhöhtem kardiovaskulärem bzw. thromboembolischem Risiko können nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung auch Gestagen-Monopräparate wie Desogestrel, Dienogest und Drospirenon eingesetzt werden.
Gut zu wissen: Hormonale Kontrazeptiva können auch mit Metformin kombiniert werden, was insbesondere bei Frauen mit einem hohen metabolischen Risikoprofil sinnvoll sein könnte. „Die Kombinationsbehandlung scheint der jeweiligen Monotherapie in vielen Aspekten überlegen zu sein“, heißt es in der Leitlinie.1
Leitlinienempfehlung zu hormonalen Kontrazeptiva bei PCOS:1
„Bei Frauen mit PCOS im reproduktiven Alter ohne Kinderwunsch sollten zur Therapie von Hyperandrogenismus und/oder Zyklusstörungen kombinierte orale Kontrazeptiva eingesetzt werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Dabei ist die individuelle Haltung der Patientin gegenüber einer Hormontherapie zu berücksichtigen.“ (Konsensstärke: 11/11, 100 %)
„Bei erhöhtem kardiovaskulären/thromboembolischen Risiko können Gestagen-Monopräparate (mit Ausnahme von Medroxy-Progesteron-Acetat, MPA) nach Abwägung von individuellem Nutzen und Risiko zur Kontrazeption und/oder zur endometrialen Protektion eingesetzt werden.“ (Konsensstärke: 10/10, 100 %)
Obwohl PCOS häufig ist und einen enormen Leidensdruck für die betroffenen Frauen bedeutet, bleibt die Diagnose oft unerkannt. Die Komplexität des Krankheitsbildes mit seinen mannigfaltigen endokrinologischen, gynäkologischen und internistischen Manifestationen bei weitgehend unklarer Ursache machen das polyzystische Ovarsyndrom schwer greifbar. Die neue Leitlinie soll das ändern und dazu beitragen, die Endokrinopathie frühzeitig zu erkennen – nur so lassen sich Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Schwangerschaftsdiabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber, Depressionen und Angststörungen verhindern.
- S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS), Version: 1.1 2025, AWMF-Registriernummer: 089-004. Online unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/089-004 (letzter Aufruf 08.08.2025).
- Böttcher B et al. Health-related quality of life in patients with polycystic ovary syndrome: validation of the German PCOSQ-G. Arch Gynecol Obstet 2018; 297(4): 1027-1035. doi: 10.1007/s00404-017-4623-2.
- Di Carlo C et al. Effects of an oral contraceptive containing estradiol valerate and dienogest on circulating androgen levels and acne in young patients with PCOS: an observational preliminary study. Gynecol Endocrinol 2013; 29: 1048-50. doi: 10.3109/09513590.2013.831834.
- De Leo V et al. Effect of a new oral contraceptive with estradiol valerate/dienogest on carbohydrate metabolism. Contraception 2013; 88: 364-8. doi: 10.1016/j.contraception.2012.09.003.