Höhenkrankheiten (Höhenassoziierte Erkrankungen, HAIs) entstehen durch physiologische Fehlreaktionen auf die verminderte Sauerstoffverfügbarkeit (hypobare Hypoxie) bei nicht akklimatisierten Personen, die rasch in Höhenlagen über 2.500 Meter aufsteigen. Das Spektrum dieser Erkrankungen umfasst akute Formen wie die akute Höhenkrankheit (AMS), das Höhenhirnödem (HACE) und das Höhenlungenödem (HAPE). Als chronische Variante tritt die chronische Höhenkrankheit (CMS) bei Menschen auf, die dauerhaft in entsprechenden Höhenlagen leben. Die AMS ist in der Regel harmlos, jedoch können sich lebensbedrohliche Komplikationen entwickeln, was eine frühe Erkennung und konsequente Behandlung unerlässlich macht.
Epidemiologie und Risikofaktoren der akuten Höhenkrankheit
Die Inzidenz der AMS wird maßgeblich durch drei Faktoren bestimmt: die Geschwindigkeit des Aufstiegs, die erreichte Höhenlage sowie die individuelle Prädisposition. Typischerweise treten die Symptome innerhalb von 6 bis 24 Stunden nach Erreichen einer kritischen Höhe auf und kulminieren während der ersten Nacht. Mit zunehmender Höhe steigt die Prävalenz signifikant an – epidemiologische Studien dokumentieren Raten von 25-40% in Höhenlagen zwischen 3.000 und 3.500 Metern, die bei Höhen über 4.500 Metern auf bis zu 90% ansteigen können. Ein schneller Aufstieg, insbesondere mit dem , erhöht das Erkrankungsrisiko erheblich, ebenso wie Bergtouren mit unzureichenden Akklimatisierungsphasen.
Die Erkenntnisse hinsichtlich Alter und Geschlecht als Risikofaktoren sind widersprüchlich; auch körperliche Fitness scheint keinen Schutz zu bieten. Vorerkrankungen wie COPD und pulmonale Hypertonie erhöhen die Anfälligkeit, während kein erhöhtes Risiko darzustellen scheint. Eine anamnestisch bekannte Episode von HAPE oder schwerer AMS stellt einen signifikanten Prädiktor für ein Wiederauftreten dar.
Das HACE tritt mit einer Inzidenz von ≤1% bei Personen in Höhenlagen über 4.000 Metern selten auf und entwickelt sich häufig als Komplikation einer schweren AMS. Die Inzidenz des HAPE variiert zwischen 0,2% bei langsamem und 6% bei raschem Aufstieg auf 4.500 Meter. Kälteexposition, intensive körperliche Belastung und gleichzeitige Atemwegsinfektionen können um Ausbruch von HAPE beitragen.
Pathophysiologie
HAIs werden primär durch hypobare Hypoxie ausgelöst, die komplexe physiologische Anpassungsmechanismen auf ventilatorischer, und zellulärer Ebene initiiert, um die Sauerstoffhomöostase aufrechtzuerhalten. Bei unzureichender Adaptation an diese hypoxischen Bedingungen entwickeln sich pathophysiologische Prozesse, die das klinische Spektrum der Höhenkrankheiten begründen.
AMS und HACE werden als Teil eines neurologischen Kontinuums betrachtet. Bei AMS induziert die Hypoxie primär ein intrazelluläres (zytotoxisches) Hirnödem, vermutlich durch Beeinträchtigung der Na⁺/K⁺-ATPase-Funktion. Parallel dazu erfolgt eine trigeminovaskuläre Aktivierung, die Kopfschmerzen verursacht. HACE geht mit einem schwereren vasogenen Ödem und einer Störung der Blut-Hirn-Schranke einher, mit MRT-Befunden von Mikroblutungen, insbesondere im Splenium des Corpus callosum.
Das HAPE ist ein nicht-kardiogenes Lungenödem, das durch eine ungleichmäßige hypoxische Lungengefäßverengung verursacht wird und zu einer Überperfusion einiger Lungenregionen, erhöhtem Kapillardruck und einer insuffizienz der Alveolarkapillarsperre führt. Eine beeinträchtigte Alveolarflüssigkeitsclearance und in einigen Fällen entzündliche Veränderungen tragen zusätzlich zur pulmonalen Extravasation bei.
Klinisches Erscheinungsbild und Diagnostik
Die Diagnose einer AMS erfolgt klinisch auf Grundlage des Auftretens von Kopfschmerzen sowie gastrointestinalen Symptomen, Schwindel oder Müdigkeit nach Höhenexposition. Für wissenschaftliche Erhebungen werden validierte Instrumente wie das Lake Louise Scoring System (LLSS) oder der Environmental Symptoms Questionnaire (ESQ-C) eingesetzt, doch die klinische Beurteilung bleibt weiterhin von zentraler Bedeutung. Zu den Differentialdiagnosen zählen , Dehydrierung und Kohlenmonoxidvergiftung.
HACE äußert sich durch Bewusstseinsstörungen, Rumpfataxie sowie andere neurologische Symptome und entwickelt sich in der Regel bei Patienten mit vorangegangener AMS. Die MRT kann ein reversibles Ödem der weißen Substanz zeigen, allerdings ist dies in entlegenen Hirnregionen nur selten möglich. , intrakranielle Blutungen und Stoffwechselstörungen sollten ausgeschlossen werden.
HAPE manifestiert sich typischerweise 2–5 Tage nach dem Aufenthalt in der Höhe und ist durch unverhältnismäßige Dyspnoe, verminderte Belastbarkeit, trockenem Husten, der zu rosa schaumigem Auswurf führt, und Anzeichen einer Hypoxämie (Zyanose, niedriger SpO₂-Wert) gekennzeichnet. Die Röntgenaufnahme des Brustkorbs zeigt, sofern verfügbar, fleckige alveoläre Infiltrate bei normaler Herzsilhouette. Lungenentzündung und Lungenembolie sind wichtige Differentialdiagnosen.
Prävention
Nicht-pharmakologische Maßnahmen sind von grundlegender Bedeutung:
- Gradueller Aufstieg: Oberhalb von 2.500–3.000 Metern sollte der tägliche Höhengewinn für die Schlafposition auf 300–500 Höhenmeter begrenzt werden.
- Strategische Ruhetage: Nach jeweils 3–4 Tagen oder nach erheblichem Höhengewinn sind vollständige Akklimatisationstage ohne weiteren Aufstieg einzulegen.
- Präventive Vorakklimatisierung: Das Erkrankungsrisiko kann durch einen mehrtägigen Aufenthalt in mittleren Höhenlagen oder durch systematisches hypoxisches Training vor der eigentlichen Höhenexposition reduziert werden.
Eine medikamentöse Prophylaxe wird für Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder bei unvermeidbarem schnellen Höhengewinn empfohlen:
- Acetazolamid (125–250 mg zweimal täglich) verbessert die Akklimatisierung, indem es die Ventilation anregt und die Bikarbonatausscheidung fördert; Beginn 8–24 Stunden vor dem Aufstieg;
- Dexamethason ist wirksam zur Vorbeugung von AMS/HACE bei schnellen Aufstiegen, fördert jedoch nicht die Akklimatisierung und sollte auf kurze Behandlungszyklen beschränkt werden;
- Ibuprofen reduziert das Auftreten von , ist jedoch weniger wirksam als Acetazolamid;
- Zur Vorbeugung von HAPE können bei anfälligen Personen Nifedipin (mit verzögerter Freisetzung), PDE5-Hemmer (Sildenafil, Tadalafil) oder hochdosiertes Salmeterol zur Senkung des Lungenarteriendrucks eingesetzt werden.
Management
Die Grundlage der Behandlung einer akuten HAI ist die Behebung der Hypoxämie durch zusätzlichen Sauerstoff, Abstieg oder den Einsatz einer tragbaren Überdruckkammer.
Leichte bis mittelschwere AMS
Ruhe, keinen weiteren Aufstieg bis zum Abklingen der Symptome, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und bei Bedarf Einnahme von Analgetika (NSAIDs, Paracetamol) und Antiemetika. Bei anhaltenden oder sich verschlimmernden Symptomen kann Acetazolamid oder Dexamethason verabreicht werden.
Schwere AMS und HACE
Sofortiger Abstieg und Sauerstofftherapie sind zwingend erforderlich. Dexamethason sollte verabreicht werden (anfänglich 4–8 mg, dann alle 6 Stunden 4 mg). Wenn ein Abstieg nicht möglich ist, sollte die Sauerstoffgabe fortgesetzt und eine Behandlung mit einer tragbaren Überdruckkammer erwogen werden.
HAPE
Sofortiger Abstieg und High-Flow-Sauerstoff sind lebensrettend. Nifedipin (30 mg mit verzögerter Freisetzung alle 12 Stunden) sollte verabreicht werden, um den Pulmonalarteriendruck zu senken. In Krankenhäusern kann Sauerstoff ohne Abstieg ausreichen; PDE5-Hemmer oder inhalative β₂-Agonisten werden derzeit untersucht, es fehlen jedoch belastbare Belege.
Prävention ist unerlässlich
Die AMS manifestiert sich vorwiegend bei nicht-akklimatisierten Personen und kann in ihrer Progression zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie dem Höhenhirnödem (HACE) oder Höhenlungenödem (HAPE) führen. Als primäre gilt weiterhin der kontrollierte, graduelle Höhenaufstieg, ergänzt durch pharmakologische Prophylaxe bei entsprechender Indikation. Für die Minimierung von Morbidität und Mortalität sind die frühe Identifikation pathologischer Symptome und unmittelbare therapeutische Interventionen von entscheidender Bedeutung.
Aktuelle Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Identifizierung objektiver diagnostischer Biomarker sowie die Präzisierung individualisierter Risikoprofile. Diese wissenschaftlichen Fortschritte könnten zur Optimierung präventiver und therapeutischer Strategien für die kontinuierlich steigende Population höhenexponierter Personen beitragen.
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