ESC-Leitlinien 2025 zu Myokarditis und Perikarditis

Die ESC-Leitlinien 2025 fassen Myokarditis und Perikarditis zu einem Spektrum zusammen und bieten praktische Aktualisierungen zu Bildgebung, Biopsie, Biologika und Wiederaufnahme der Aktivitäten.

Warum waren neue Leitlinien notwendig?

Myokarditis und Perikarditis unterscheiden sich zwar in ihrer Pathologie, überschneiden sich jedoch häufig in ihrer klinischen Präsentation. Brustschmerzen, Arrhythmien, neu auftretende  oder Tamponade können entweder auf eine der beiden Erkrankungen oder auf ein gemischtes Krankheitsbild hinweisen. Jahrzehntelang basierte ihre Behandlung auf Tradition, Beobachtungsstudien und fragmentierten Stellungnahmen von Fachgesellschaften. Myokarditis ist nach wie vor eine der Hauptursachen für den plötzlichen Herztod bei jungen Erwachsenen und Sportlern, während Perikarditis einen großen Teil der Brustschmerzen in der Notaufnahme ausmacht. In den letzten Jahren haben neue Szenarien (Myokarditis durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren, autoinflammatorische Syndrome, COVID-Folgeerkrankungen) die Komplexität noch erhöht.

Vor diesem Hintergrund stellen die ESC-Leitlinien 2025 zur Behandlung von Myokarditis und Perikarditis einen wichtigen Meilenstein dar. Zum ersten Mal fasst die ESC beide Erkrankungen in einem einzigen Dokument zusammen und definiert sie ausdrücklich als Spektrum des inflammatorischen Myoperikardialsyndroms (IMPS).

Diese Vereinheitlichung unterscheidet auch den europäischen Ansatz von dem der amerikanischen Gesellschaften. Die American Heart Association (AHA) und das American College of Cardiology (ACC) haben in der Vergangenheit separate Dokumente veröffentlicht: eine wissenschaftliche Stellungnahme zu Perikarderkrankungen aus dem Jahr 2015 und neuere Expertenkonsens-Leitlinien zur Myokarditis, einschließlich ICI-bezogener Fälle. Obwohl sich die Philosophien überschneiden (Schwerpunkt auf CMR, selektiver Biopsie, risikostratifizierter Versorgung), behalten die US-Texte unterschiedliche Einheiten bei, während sich die ESC für einen wirklich integrierten Rahmen entschieden hat. Für Kardiologen ist dies von Bedeutung: Viele Patienten lassen sich nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen, und IMPS ermöglicht schnellere Entscheidungen ohne semantische Verzögerungen.

IMPS: Entzündliches Myoperikardialsyndrom

Die Einführung von IMPS ist mehr als nur Semantik. Es sagt den Klinikern: Verschwenden Sie keine Zeit damit, darüber zu diskutieren, ob es sich in erster Linie um eine Myokard- oder Perikarderkrankung handelt: Behandeln Sie sie als entzündliche Herzerkrankung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Dies ist besonders hilfreich bei gemischten Formen wie Myoperikarditis, bei denen Ärzte oft unsicher waren, wie aggressiv sie behandeln oder überwachen sollten.

Durch die Zusammenfassung dieser Erkrankungen unter IMPS ermutigt die Leitlinie Kliniker dazu frühzeitig entzündungshemmende Strategien anzuwenden, wenn dies angemessen ist eine strukturierte Nachsorge unabhängig vom dominanten Phänotyp zu planenkomplexe Fälle an spezialisierte IMPS-Teams in Zentren zu überweisen.

Es wird erwartet, dass IMPS die Praxis in ganz Europa harmonisieren, Variabilität reduzieren und die Datenerfassung für zukünftige Studien erleichtern wird.

Präsentationsgesteuerte Diagnosealgorithmen: CMR als Eckpfeiler

Eine der am meisten geschätzten Neuerungen ist der präsentationsgesteuerte Ansatz. Anstelle einer linearen Untersuchung schlägt die Leitlinie Flussdiagramme vor, die Patienten anhand ihrer Symptome stratifizieren: akute Brustschmerzen, Arrhythmie, neu auftretende Herzinsuffizienz oder Tamponade.

In fast allen Bereichen dieser Pfade ist die kardiale Magnetresonanztomographie (CMR) der nicht-invasive Eckpfeiler. Unter Verwendung der aktualisierten Lake-Louise-Kriterien – mindestens ein T2-basierter Ödemmarker plus idealerweise ein T1-basierter Fibrosemarker (LGE, natives T1, ECV) – bietet die CMR sowohl Sensitivität als auch Spezifität. Bei Perikarditis erhöht der Nachweis von Ödemen und Kontrastmittelanreicherung die diagnostische Sicherheit über die klinischen Symptome und das CRP hinaus.

Die CMR hilft auch bei der Risikostratifizierung: Eine ausgedehnte späte Gadolinium-Kontrastmittelanreicherung bei Myokarditis lässt eine schlechtere Prognose erwarten, während normale Befunde bei Perikarditis sowohl den Arzt als auch den Patienten beruhigen. Somit ist die CMR nicht nur diagnostisch, sondern auch prognostisch und gibt Aufschluss über die Intensität der Nachsorge.

Andere Instrumente behalten ihre Rolle, jedoch in einer unterstützenden Hierarchie. Troponin ist sensitiv, aber unspezifisch, da es bei Perikarditis oder systemischen Erkrankungen zu einem leichten Anstieg kommen kann. Das EKG bleibt für die Erkennung diffuser ST-Veränderungen oder Arrhythmien unverzichtbar, weist jedoch keine Spezifität auf. Die Echokardiographie ist nützlich, um Perikarderguss, LV-Dysfunktion oder Wandbewegungsstörungen zu erkennen, und ist oft das Instrument der ersten Wahl in Notaufnahmen. Nuklearmedizinische Bildgebung und PET können in bestimmten Kontexten, wie z. B. bei Sarkoidose, hilfreich sein.

Die Botschaft für die tägliche Praxis ist einfach: Verwenden Sie EKG, Troponine und Echo als Erstuntersuchung, aber fahren Sie schnell mit der CMR fort, wann immer diese verfügbar ist, da sie die aussagekräftigsten Informationen liefert.

Endomyokardbiopsie: Wenn Ergebnisse die Behandlung beeinflussen

Jahrelang war die EMB von Unklarheiten umgeben: Einige Zentren führten sie großzügig durch, andere vermieden sie gänzlich. Die Leitlinie von 2025 beseitigt diese Unsicherheit: Führen Sie sie durch, wenn sie die Behandlung beeinflusst.

Dazu gehören Verdachtsfälle von Riesenzellmyokarditis, Herzsarkoidose, ICI-Myokarditis oder fulminante Myokarditis mit rascher Verschlechterung. In diesen Fällen können Histologie und Immunhistochemie als Leitfaden für die Immunsuppression oder die Eskalation bis hin zur Erwägung einer Transplantation dienen.

In der Praxis könnte beispielsweise bei einem jungen Patienten mit neu auftretender Herzinsuffizienz, Leitungsblock und Arrhythmien eine EMB eine Riesenzellmyokarditis aufdecken, was eine sofortige Immunsuppression erforderlich machen würde. Bei einem Patienten mit leichten Brustschmerzen, normaler Funktion und eindeutigen CMR-Befunden einer akuten Myokarditis hingegen bringt eine Biopsie kaum einen Mehrwert.

Dieser selektive Ansatz reduziert unnötige Risiken, steht im Einklang mit der Ressourcennutzung und verdeutlicht den Ärzten, wann sie auf eine Überweisung an Zentren bestehen sollten, die eine EMB durchführen können.

Praktische Behandlungsstrategien: von Colchicin bis zu IL-1-Inhibitoren

Bei Perikarditis bleiben NSAIDs plus Colchicin die Hauptstütze der Behandlung. Die Leitlinie legt die Dosierung nach Körpergewicht, Behandlungsdauer und Ausschleichstrategie fest. Wichtig ist, dass Colchicin nicht mehr „optional”, sondern ein integraler Bestandteil der Behandlung ist.

Bei rezidivierender oder anhaltender Perikarditis werden IL-1-Inhibitoren (Anakinra oder Rilonacept) in refraktären Fällen empfohlen. Ihre formelle Anerkennung ist ein Meilenstein: Kardiologen können nun Biologika mit Unterstützung durch Leitlinien verschreiben und nicht mehr nur als experimentelle Therapie. Dies wird wahrscheinlich die Akzeptanz beschleunigen, insbesondere bei Patienten, die durch multiple Rückfälle geschwächt sind.

Bei  ist in fulminanten Fällen Eile geboten. Betont wird die schnelle Einweisung auf die Intensivstation, die Einleitung einer mechanischen Kreislaufunterstützung (MCS) wie VA-ECMO oder Impella und eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz. Eine Immunsuppression ist bioptisch nachgewiesenen oder hochgradig vermuteten immunologischen Ursachen vorbehalten. Dadurch wird der wahllose Einsatz von Steroiden verhindert, der bei viraler Myokarditis zu einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufs führen kann.

Der Arrhythmieaspekt findet große Beachtung: Ventrikuläre Arrhythmien können einen vorübergehenden Schutz durch einen tragbaren Defibrillator erfordern, während bei anhaltender LV-Dysfunktion über die akute Phase hinaus die Implantation eines ICD in Betracht gezogen wird. Die Leitlinie betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung: Nicht jeder Patient mit verminderter EF nach Myokarditis benötigt einen ICD; der Zeitpunkt und die Genesungstendenzen sind entscheidend.

Rückkehr zur Aktivität: Individualisierung ersetzt starre Verbote

Für Patienten ist die vielleicht greifbarste Veränderung der neue Rahmen für die Rückkehr zur Aktivität. Vorbei sind die pauschalen sechsmonatigen Trainingsverbote. Stattdessen basiert die Rückkehr auf klinischer Stabilität, Ventrikelfunktion, Normalisierung der Biomarker und, sofern verfügbar, der Erholung der CMR.

Für Kardiologen bedeutet dies eine differenziertere Gesprächsführung: Wir werden Sie engmaschig überwachen und Sie zurückführen, wenn es sicher ist, anstatt Sie automatisch für ein halbes Jahr auszuschließen.

Praktische Szenarien veranschaulichen die Veränderung. Ein 25-jähriger Amateurfußballer mit unkomplizierter viraler Perikarditis, abgeklungenen Schmerzen, normalisiertem CRP und einer unauffälligen CMR kann bereits nach Wochen statt Monaten zum Training zurückkehren. Im Gegensatz dazu benötigt ein Profisportler mit Myokarditis, ausgedehnter LGE und reduzierter EF längere Einschränkungen und stufenweise Tests, bevor er wieder freigegeben wird.

Die Leitlinie hebt auch die psychische Gesundheit hervor: Längere Inaktivität und Unsicherheit können Ängste und Depressionen schüren. Die Integration psychologischer Unterstützung in die Nachsorge wird ausdrücklich empfohlen, ein Detail, das in der oft übersehen wird, aber von den Patienten begrüßt wird.

Nachsorge: strukturiert und risikogerecht

Ein weiterer praktischer Fortschritt ist die Betonung einer strukturierten Nachsorge. Anstatt die Patienten fragmentierten ambulanten Besuchen zu überlassen, schlägt die Leitlinie klare Zeitpläne vor: klinische Untersuchung nach 1–3 Monaten, wiederholte Bildgebung (oft Echo, manchmal CMR) zur Bestätigung der Genesung und Troponin-/CRP-Kontrollen bei Verdacht auf einen Rückfall.

Patienten mit wiederkehrender Perikarditis sollten einen langfristigen Behandlungsplan erhalten, der Aufklärung über die frühzeitige Erkennung von Schüben und klare Anweisungen dazu enthält, wann Hilfe in Anspruch genommen werden sollte. Myokarditis-Überlebende mit anhaltender LGE erfordern eine längere Überwachung auf Arrhythmierisiken, selbst wenn sich die EF normalisiert.

Dieser systematische Ansatz reduziert übersehene Rückfälle und gibt den Patienten Sicherheit, was die Therapietreue und die Ergebnisse verbessert.

Spezielle Szenarien und Evidenzlücken

Das Dokument enthält praktische Tabellen für Szenarien, die Kliniker oft vor Probleme stellen: tuberkulöse Perikarditis, neoplastische Beteiligung, Schwangerschaft, Sarkoidose und Überschneidungen mit erblichen Kardiomyopathien. Es klärt auch, wann CT, nukleare Bildgebung oder elektroanatomisches Mapping eingesetzt werden sollten.

Ein Großteil der Evidenz ist jedoch nach wie vor von geringer Qualität. Die Leitlinie ist transparent: Viele Empfehlungen sind auf Stufe C und basieren auf einem Expertenkonsens. Ärzte müssen daher ihr Urteilsvermögen einsetzen und die Leitlinien mit patientenspezifischen Faktoren abwägen. Kommentatoren betonen, dass der Wert in der Standardisierung von Sprache und Struktur auch in Bereichen mit Unsicherheiten liegt.

Klinische Implikationen

  1. Denken Sie IMPS: Betrachten Sie entzündliche Herzerkrankungen als Spektrum und entscheiden Sie anhand einer auf den Symptomen basierenden Triage über Aufnahme, Tests und Überweisung.
  2. CMR frühzeitig anordnen: Machen Sie sie zur Kernuntersuchung bei Verdacht auf Myokarditis oder Perikarditis, nicht zu einer nachträglichen Überlegung.
  3. Setzen Sie Therapien entschlossen ein: Colchicin bei allen Perikarditiden, IL-1-Hemmer bei refraktären Rezidiven, gezielte Immunsuppression bei biopsiebestätigter Myokarditis, strukturierte Nachsorge für die Rückkehr zur Aktivität.

Für den praktizierenden Kardiologen sind diese drei Veränderungen besonders wichtig. Es handelt sich dabei nicht um abstrakte Prinzipien, sondern um tägliche Entscheidungen: Wer wird aufgenommen, welche Untersuchungen werden angeordnet, wann wird eine Biopsie durchgeführt, welches Medikament wird verschrieben, wann wird die Rückkehr zum Sport erlaubt? Die Leitlinie sorgt für Klarheit und Konsistenz, wo zuvor Uneinheitlichkeit herrschte.

Ein Wendepunkt in der Behandlung entzündlicher Herzerkrankungen

Die ESC-Leitlinien 2025 für Myokarditis und Perikarditis bieten mehr als nur inkrementelle Aktualisierungen: Sie liefern ein praktisches Handbuch. Durch die Vereinheitlichung der Erkrankungen unter IMPS, die Fokussierung der Diagnose auf CMR, die Klärung der Biopsieindikationen, die Befürwortung von Biologika bei refraktärer Perikarditis und die Individualisierung der Rückkehr zur Aktivität spricht das Dokument direkt die Dilemmata an, mit denen Kardiologen in Kliniken und Stationen konfrontiert sind.

Im Vergleich zum amerikanischen Ansatz, bei dem Myokarditis und Perikarditis weiterhin getrennt behandelt werden, bietet der ESC-Text einen einzigartigen integrierten Rahmen, der der Realität mit sich überschneidenden Symptomen entspricht. Es bleiben zwar Herausforderungen bei der Umsetzung, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu Bildgebung und Biologika, aber der Weg ist klarer geworden. Für die klinische Praxis stellen die Leitlinien einen bedeutenden Paradigmenwechsel dar; für Patienten eröffnen sie die Aussicht auf eine zeitnahe, personalisierte und zukunftsorientierte Versorgung.

Quellen:
  1. Schulz-Menger J, Imazio M, Collini V, Gröschel J, et al. 2025 ESC Guidelines for the management of myocarditis and pericarditis. Eur Heart J. 2025;00:1–90. doi:10.1093/eurheartj/ehaf192.
  2. ESC Press Release. New Guidelines for myocarditis and pericarditis aim to improve diagnosis and treatment and help patients return to exercise and work more quickly. 30 Aug 2025.
  3. ESC Congress 2025 News. Myocarditis and pericarditis: why unify, what changes. ESC, 2025.