Neuer Trend mit Schattenseiten: Rauch- und tabakfreies Nikotin

Orale Nikotinbeutel ohne Tabak sind in den USA bereits sehr populär, vor allem unter jungen Menschen. Was müssen Ärzte wissen?

Eines der am schnellsten wachsenden Nikotinprodukte auf dem Markt

Mögliche Auswirkungen auf die Mundgesundheit noch unbekannt

Dr. Joseph Nemeth, ein weltweit anerkannter Parodontologe, der ein Pionier für verschiedene fortschrittliche, heute gängige Behandlungsmethoden war, sieht aus seiner über 30-jährigen Erfahrung ein potenzielles Risiko für Zahnfleischveränderungen. Wenn die Pouches immer wieder im selben Bereich des Zahnfleisches platziert werden, kann dies zu Irritationen des Gewebes führen, warnt er. Mit Kautabak hat er Fälle gesehen, bei denen an diesen Stellen Krebs entstanden ist. Aktuell gibt es keine Daten dazu, ob weiße Nikotinpouches auch dieses Risiko bergen, aber es könnte Zahnfleischrückgang begünstigen und Zahnfleischrückgang kann auch Knochenrückgang bedeuten, so Nemeth.Dies müsste unbedingt gründlich untersucht werden, denn ein Mensch mit schlechter Mundgesundheit ist im Ganzen nicht gesund. 

Es ist nicht bekannt, welche Rolle Nikotin als potenzielles Karzinogen spielt.5 Nikotinersatzprodukte stehen (trotz Tabakfreiheit) mit der Entwicklung oraler Erkrankungen in Verbindung, bspw. von hyperkeratotischen Läsionen.5 Nikotin hat auch Auswirkungen auf die Immunzellen und beeinflusst Entzündungsreaktionen auf mikrobielle Herausforderungen. Es steht außerdem in Verdacht, reaktive Sauerstoffspezies, Zytokine und Wachstumsfaktoren zu erhöhen sowie das Mikrobiom und die miRNA-Expression aus dem Gleichgewicht zu bringen.Neben Nikotin sind die verlockenden Geschmacksrichtungen ein weiterer Grund für den Markterfolg der Pouches. Studien zeigen leider, dass die enthaltenen Aromastoffe die angeborene Immunantwort des Zahnfleisches schädigen und das Eindringen von Nitrosaminen verstärken.2

Welche Inhaltsstoffe sind noch enthalten?

Orale Nikotinpouches sind in verschiedenen Stärken und vielen Geschmacksrichtungen erhältlich. Dr. Nemeth betont den extrem raschen Übertritt über die Mundschleimhaut direkt in die Blutbahn, ohne die sonst erfolgende Aufschlüsselung oder Abbau. Da Nikotin eine der am stärksten süchtig machenden Substanzen ist und die Pouches einen starken Nikotinkick induzieren (effektiver als durch Rauchen), sind Suchtpotenzial und Gewohnheitsbildung nicht zu unterschätzen.4 Nikotin führt im Gehirn zur Ausschüttung von besonders viel Dopamin, was Euphorie erzeugt und Konsumenten abhängig macht.6

Die vorgefüllten Beutel enthalten neben Nikotin auch Aromastoffe und Füllstoffe, die sich im Mund auflösen. "In den Pouch-Produkten wurden Spuren von tabakspezifischen Nitrosaminen (TSNAs) und toxischem Chrom nachgewiesen. Dies gibt Anlass zur Sorge um die allgemeine und parodontale Gesundheit", resümiert ein Review in einem renommierten Zahnmedizin-Journal.2 Auch als "unflavored" deklarierte Pouches enthalten relevante Mengen umstrittener künstlicher Süßstoffe, wie Acesulfam K, das in Verdacht steht, mit einem erhöhten Krebs- und Diabetesrisiko sowie anderen Langzeitwirkungen assoziiert zu sein.7,8 In den enthaltenen Mengen erhöhen diese künstlichen Süßstoffe den Nikotinkonsum. Einige Hersteller fügen Pouches mit höheren Nikotinstärken mehr Süßstoff zu.9

Experten besorgt über rasch wachsende Zahl jugendlicher Konsumenten

Obwohl die Pouches offiziell nicht für Minderjährige gedacht sind, scheint das in einigen Ländern der am schnellsten wachsende Markt zu sein.10 Gerade Teenager, die oft vorher nicht geraucht haben und berichten, dass sie diese Produkte täglich im Übermaß benutzen sowie entsprechende Videos auf den sozialen Medien mit Millionen von Aufrufen, sollten ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass hier Aufklärung und Vorsicht geboten sind.1 Laut der National Youth Tobacco Survey 2023 gaben allein in den USA etwa 420.000 Schüler der Mittel- und Oberstufe an, in den letzten 30 Tagen Zyn (einen der meistverkauften weißen Nikotinpouches) konsumiert zu haben.3 "Das erste Mal, wenn du einen nimmst, wird es wahrscheinlich furchtbar sein", beschreibt ein Schüler. "Es schmeckt schlecht, und viele Leute, die ich kenne, sind 'nik-krank' geworden und haben sich übergeben. Aber wenn man sich an den Geschmack gewöhnt hat, hat man das Gefühl, durch die Wolken zu treiben."3

Für die Atemwege ist es natürlich ein Gewinn, wenn zumindest nichts inhaliert (geraucht oder gevaped) wird, aber die Marketingbotschaften „rauch- und tabakfrei“ könnten gerade bei Adoleszenten der Vorstellung Vorschub geben, dass von oralen Pouches mit potentem synthetischem Nikotin keine oder nur geringe Gesundheitsrisiken ausgingen. Es gibt jedoch wenig Evidenz, die diese Sicherheitswahrnehmung rechtfertigt.2 Durch die Abwesenheit von Qualm und Tabakgeruch sind die kleinen Beutelchen auch diskreter oder leichter unbemerkt zu nutzen und man darf sie auch an Orten mit Rauchverbot dabei haben.1
Den Anwendern gefällt das "High", das ihnen ein Gefühl gesteigerter Wachheit und Aufmerksamkeit gibt, was jedoch von kurzer Dauer ist. Mit der Zeit kann sich eine Toleranz gegenüber Nikotin entwickeln, sodass immer mehr benötigt wird, um dieses Gefühl wieder zu erreichen.1,11

"Politische Entscheidungsträger sollten dafür sorgen, dass [...] keine neue Welle der Nikotinsucht unter Jugendlichen entsteht", fordern die Autoren des oben genannten Reviews.2 Dass die Produkte gerade Jugendliche und junge erwachsene Nichtraucher so ansprechen, hat auch damit zu tun, dass die Werbung oft jung und bunt ist und die Dosen mit Geschmacksrichtungen wie Tropic Breeze und Berry Frost, die in vielen Ländern in Lebensmittelgeschäften verkauft werden, aussehen wie Kaugummi oder Süßigkeiten.10

Ein weiteres Rauchersatz-Produkt, was seinerseits schwer nikotinabhängig macht?

Weiße Nikotinpouches werden oft als "einfacher" Weg zur Raucherentwöhnung angepriesen.1 Auch das sehen verschiedene Experten kritisch. Hayley Nelson, PhD, Neurowisschenschaftler und Gründer der Academy of Cognitive and Behavioral Neuroscience sagt: "Die Hauptfunktion bleibt dieselbe: Nikotin-Cravings zu befriedigen, was zur Abhängigkeit führen kann, insbesondere in jungen, sich entwickelnden Gehirnen." Für Jugendliche ist es oft kein Stopp, sondern der Einstieg in den Nikotinkonsum und es ist bekannt, dass Nikotin (auch in Form von E-Zigaretten) aufgrund der Wirkung auf Schlüsselrezeptoren in der Jugend besonders gefährlich ist und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass diese Menschen später zu Nikotin und Zigaretten greifen.1,6  Bei jungen Menschen reichen 5 mg Nikotin pro Tag für die Entstehung einer Abhängigkeit aus (das entspricht etwa der Nikotinmenge in einem Viertel eines E-Zigaretten-Pods).6

Die Entwicklung eines suchtgebahnten Gehirns ist aber nicht das einzige Problem. Bis Mitte oder Ende 20 befindet sich das Gehirn noch in der Entwicklung. Nikotinabusus in der Jugend kann die Bildung von neuronalen Schaltkreisen beeinträchtigen und wurde unter anderem mit erhöhten Raten von Aufmerksamkeitsstörungen, Lernschwierigkeiten, Depressionen, Ängsten und erhöhten Stressleveln in Verbindung gebracht.1,6,10

Fazit

Die möglichen Langzeitfolgen für die Gesundheit sind noch nicht ausreichend bekannt. Gerade Eltern und Jugendliche sollten aufmerksam sein.1 Geschmacksintensive orale Nikotinpouches erhöhen das Risiko von Dual- oder Polytabakkonsum bei jungen Erwachsenen, wodurch sich schädliche Auswirkungen summieren könnten. In Anbetracht der steigenden Zahl von Anwendern sind Studien vonnöten, welche die Auswirkungen auf die systemische und parodontale Gesundheit untersuchen.2
 

Weitere Informationen zu expositionellen Risikofaktoren

Quellen:
  1. Teens Are Getting Hooked on Zyn With Help From Social Media ‘Zynfluencers’. Parents https://www.parents.com/what-is-zyn-and-why-are-teens-using-it-8599249.

  2. Ye, D. & Rahman, I. Emerging Oral Nicotine Products and Periodontal Diseases. Int J Dent 2023, 9437475 (2023).

  3. Detmer, A. What the heck is a Zyn? The Harvard-Westlake Chronicle https://hwchronicle.com/109127/features/what-the-heck-is-a-zyn/.

  4. Joseph R Nemeth DDS. ZYN - Oral Health Risks and Benefits! Reviewed by Dr. Nemeth. https://www.youtube.com/watch?v=e4CgMpGZbJ0 (2024).

  5. Tebbutt, J., Khan, Z. & Ariyaratnam, R. A case report of oral nicotine-associated keratosis and a review of oral mucosal changes in tobacco and similar products. Br Dent J 228, 757–760 (2020).

  6. Nicotine and the young brain. https://truthinitiative.org/research-resources/harmful-effects-tobacco/nicotine-and-young-brain.

  7. Debras, C. et al. Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. PLOS Medicine 19, e1003950 (2022).

  8. Debras, C. et al. Artificial Sweeteners and Risk of Type 2 Diabetes in the Prospective NutriNet-Santé Cohort. Diabetes Care 46, 1681–1690 (2023).

  9. Jabba, S. V., Silinski, P., Yang, A. Y., Ouyang, W. & Jordt, S. E. Artificial Sweeteners in US-Marketed Oral Nicotine Pouch Products: Correlation with Nicotine Contents and Effects on Product Preference. bioRxiv 2024.01.26.577472 (2024) doi:10.1101/2024.01.26.577472.

  10. Gallant, I. Despite the harm, young people are using nicotine pouches. Experts say it’s giving them déjà vu. CBC Radio https://www.cbc.ca/radio/whitecoat/nicotine-pouches-youth-1.7158053 (2024).

  11. Why People Start Using Tobacco, and Why It’s Hard to Stop. https://www.cancer.org/cancer/risk-prevention/tobacco/why-people-start-using-tobacco.html.

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