Sommerpause in der Kinderarztpraxis – Vorbereitung auf die Herbstwelle

Das Wetter ist ideal, die Praxen noch leer. Doch der Herbst bringt neue Infekte. Ein Kinderarzt über die „Post Holiday Disease“, überraschende Gründe für Impfskepsis und warum er mehr als nur Ohren spült.

Vom Verschwinden der Masern und den Wurzeln der Impfskepsis

Das Maserngesetz von Herrn Spahn hat gegriffen. Gerade auch bei Impfskeptikern. Es gibt zunehmend Familien, die ausschließlich diese Impfung machen. Da sind ja auch die Kitas konsequent. Wer nicht maserngeimpft ist, kommt nicht in die Kita hinein. Und das akzeptieren die Eltern. Mit Ausnahme von Migranten sind Masern eine Rarität geworden. Aber auch, wenn man hier sieht, dass Pflichten greifen, bin ich gegen weitere Impfpflichten. Zur Illustration eine kleine Geschichte: Neulich fragte mich ein Fernsehsender, ob sie bei mir mal ein Masernkind filmen könnten. Meine Antwort war: Wenn Sie Pech haben, können Sie sich zwei Jahre neben mich setzen und sehen kein einziges.

Mein letztes Masernkind habe ich vor drei, vier Jahren gesehen - ein Flüchtlingskind. Meine Beobachtung ist, dass gerade die Menschen aus der Ukraine oft sehr starke Impfskeptiker sind. Das kann man geschichtlich erklären. Sie bekamen früher Impfstoffe aus Russland und viele haben vermutet, die Russen wollen sie verseuchen. Und so entsteht Impfskepsis. Vor dem Krieg kamen viele Ukrainer, um sich bei uns impfen zu lassen - weil sie zu uns mehr Vertrauen hatten. Etwas Ähnliches hatten wir in den sechziger Jahren in Deutschland. Damals hatte die DDR zuerst den Impfstoff gegen Kinderlähmung. Und die Bundesregierung hat gesagt: Von denen wollen wir keinen Impfstoff, die wollen uns vergiften. Dadurch sind erwiesenermaßen Kinder umgekommen oder waren dann gelähmt, als die DDR die Krankheit schon im Griff hatte. Aber vom Feind kauft man eben keine Impfstoffe …

Vorbereitung auf den Herbst und aktuelle Infektionslage

Aber zurück in die Gegenwart: Wir erleben in der Praxis derzeit die Ruhe vor dem Sturm und bereiten uns auf die Influenza- und RSV-Impfungen im Herbst vor, indem wir bestimmte Zeitblöcke dafür einrichten. Die Medikamente sind ausreichend verfügbar - anders als letztes Jahr. 

Noch sind die Infektionskrankheiten auf einem niedrigen Stand. Wir haben Parainfluenza, Rhinoviren, ein paar Corona-Fälle. Insgesamt kommen nur wenige akut kranke Kinder. Das Wetter ist für Kinder ideal. Sie können draußen spielen, sind nicht so häufig im Schwimmbad, wo sie sich oft Magen-Darm-Erkrankungen zuziehen. 

In Mecklenburg-Vorpommern sehen wir derzeit vermehrt EHEC-Fälle (enterohämorrhagische Escherichia coli). Das geht durch die Medien. Zehn Kinder sind auf Intensivstationen. Denn die Erreger können zum Nierenversagen führen. Dennoch muss man daran erinnern: Diese Fälle sind bei aller Sorge Raritäten. Alle drei, vier Jahre erlernen wir eine gewisse Häufung. Diesen Keim gibt es bei Schafen und Schweinen – durch Öko-Düngung werden Erreger als Schmierinfektion übertragen. Man sollte frisches Obst und Gemüse, das man roh essen möchte, gut waschen, durchaus auch mit Seife - gerade Produkte aus der Bio-Erzeugung.

Post-Holiday-Disease und Routine in der Praxis

Was demnächst in die Kinderarztpraxis kommt, sind Fälle, die wir “Post-Holiday-Disease” nennen. Bedeutet: Mit einem unvorbereiteten Immunsystem gehen die Kinder nun wieder in Kitas und Schulen und stecken sich dort einmal an.

Natürlich haben wir auch aktuell mit unseren Routinen gut zu tun. Einen sehr großen Arbeitsanteil nehmen die Impfungen ein. Wir holen jetzt die Impfungen auf, die Kita-Kinder, im Frühjahr nicht bekommen konnten, weil sie krank waren.

Und bis vor Kurzem hatten wir viel mit Reise-Impfungen zu tun. Die Reisefreudigkeit hat offenbar enorm zugenommen. Sehr beliebt sind Asienreisen. Und dafür braucht man vorher diverse Impfungen.

Oft sehen wir infizierte Wespenstiche, Mückenstiche, Zeckenbisse. Ich wiederhole es immer wieder: Heute kommen Eltern wegen Kleinkram zum Kinderarzt. Sie sind unsicher und sie sind übervorsichtig. Da hilft leider auch kein Primärarztsystem. Sicher, der Kinderarzt behandelt eine Mittelohrentzündung günstiger als ein HNO-Arzt. Aber wenn er draufschaut und das Kind dann weiterschickt, dann ist nichts gewonnen. Früher haben Allgemeinärzte und ländliche Ärzte ganz viel selbst gemacht. In einer Stadt wie Berlin ist das nicht mehr so. 

Herausforderungen: Primärversorgung, KI und Personalmanagement

Wir spülen noch Ohren, entfernen Warzen, schienen Arme nach kleinen Unfällen. Aber viele machen das nicht mehr. Das Primärarztsystem funktioniert meiner Meinung nach nur dann, wenn der Primärarzt viele kleine Dinge selbst behandeln kann - und das auch tut. Diese kleinen Notfälle machen als Standardprogramme bei uns die Masse aus. Oft genügt nach Stürzen eine kleine Gipsschiene - OPs sind selten notwendig.

Man will jetzt mehr auf KI setzen, um Praxen zu entlasten. Bei uns hilft das eher nicht. Bei uns Kinderärzten ist die persönliche Beratung entscheidend. Wir haben zwei kompetente Damen am Telefon, die die Eltern beraten und vieles im Vorfeld abfangen, sodass viele nicht kommen müssen. Wenn wir das nicht hätten, würde die Praxis vermutlich zusammenbrechen. Ein Beispiel: Eine Mutter ruft an, weil ihr anderthalb Jahre altes Kind vom Bett gefallen ist. Wir können ihr am Telefon sagen, worauf sie achten muss - krabbelt es, ist es fröhlich, spielt es, isst es? - und wann sie zu uns oder ins Krankenhaus kommen sollte. Hier muss man abwägen: Manchmal ist der stundenlange Arztbesuch gefährlicher als der Grund, weshalb man überhaupt zum Arzt gegangen ist.

Durch den Personalmangel sind viele Praxen gar nicht mehr erreichbar. Das wäre bei uns undenkbar. Die Kinderarztpraxis ist naturgemäß personalintensiv. Natürlich ist das Personalproblem für alle Praxen riesig. Ich kann daher nur jedem Kollegen sagen: Man muss sich um sein Personal kümmern, man muss es hegen und pflegen und alles versuchen, es zu halten. Wie machen wir das? Wir bezahlen nicht schlecht, machen regelmäßig gemeinsame Ausflüge, vermitteln Anerkennung und übertragen Verantwortung. Ich verdiene lieber ein bisschen weniger, als dauernd den Stress mit Personalfluktuation zu haben. Wir drei Praxis-Ärzte plus Assistent, haben zusammen 14 Arzthelferinnen, meist in Teilzeit - und wir haben seit rund vier Jahren fast keine Fluktuation. So gehen wir zusammen entspannt und gut gelaunt in den Herbst.