Ohne bessere Kommunikation bleibt personalisierte Medizin Vision

Eine gute Arzt-Patient-Beziehung ist entscheidend für den Behandlungserfolg. Wie lässt sich diese zu Zeiten fortschreitender Digitalisierung verbessern? Einige Ideen von Prof. Jalid Sehouli.

Arzt-Patienten-Verhältnis: weg vom einseitigen Informationsaustausch hin zur Partizipation 

Weltweit und kulturübergreifend schätzen Studien das Verhältnis von Patient und Arzt als gut ein. Das heißt aber nicht, dass das nicht noch verbessert werden kann. Der Grundpfeiler der Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die Kommunikation, was sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung darstellt. Die Stellung der Patienten hat sich erfreulicherweise deutlich verändert - weg von einem einseitigen Informationsaustausch hin zur Partizipation, zu einer größeren Mündigkeit. 

Natürlich ist auch der Einzug der digitalen Medien an der Arzt-Patienten-Kommunikation nicht spurlos vorbei gegangen. Patienten finden viel leichter medizinische Informationen und in der konkreten Kommunikation spielen digitale Medien inzwischen auch eine große Rolle. Dennoch bleibt das direkte Gespräch mit dem Arzt sehr wesentlich. Wir führten gerade eine Studie durch, die eindeutig zeigt, dass das Vertrauen in die Ärzte weiterhin groß ist. Es ist und bleibt einer der Haupttreiber von Adhärenz und Compliance für jegliche medizinischen Maßnahmen. Wir erleben also zwei Trends: einmal die gewachsene Mündigkeit der Patienten und wir Ärzte haben nicht mehr das Aufklärungs- und Informationsmonopol. Die Transparenz ist größer geworden. Der Informationsaustausch ist bidirektional, so können wir endlich einen echten partizipatorischen Entscheidungsfindungsprozess ermöglichen.

Medizinische Internaktionen neu priorisieren

Auf der anderen Seite war und ist die Zeit von Medizinerinnen begrenzt. Das bedeutet, man muss die Kontaktzeit intensiver nutzen, um die Wertausschöpfung von Kommunikation zu erhöhen. Zum Beispiel fragt eine Patientin bei der täglichen Visite: “wann ist denn mein nächster CT-Termin?” oder der Arzt fragt: “Ist eigentlich das Konsil schon gelaufen?” Das sind alles Fragen der Organisation, die auf einem anderen und besseren Weg sicher geklärt werden könnten, nicht zu Lasten der kostbaren Zeit für patientenzentrierte Kommunikation. Hier können Kolleginnen aus anderen Gesundheitsberufen helfen, auch mit Unterstützung digitaler Medien. Dazu wäre es sinnvoll, die Vernetzungen zwischen den medizinischen Berufsgruppen enger zu gestalten. Es könnten zum Beispiel Vorgespräche geben, bevor die Patientin in ein Krankenhaus geht, bei dem alle relevanten Informationen, die es schon über die Patientin gibt, zusammenfließen und verfügbar gemacht werden. Mündigkeit bedeutet auch, der Patientin z. B. zu sagen: “Kommen Sie bitte mit allen verfügbaren Befunden zu unserem Termin”.

Ich bin dafür, die medizinischen Interaktionen neu zu ordnen, zu priorisieren, indem wir die organisatorischen Themen von den therapierelevanten Themen trennen. Das heißt: bessere Einbindung aller medizinischen Berufsgruppen und Favorisierung direkter Kommunikationsstrategien. Wir Ärzte sind immer noch zu sehr darauf konditioniert, alles selbst zu machen und zu organisieren, wir haben nicht gelernt, zu delegieren. Ein Beispiel: In der Tumorkonferenz soll eine Patientin besprochen werden, aber die zuständige Ärztin ist plötzlich krank geworden. Was nun? Die Patientin braucht ihre Therapie, aber die Tumorkonferenz läuft ohne ihren Fall. Ich meine, Ärzte müssen viel mehr delegieren und sich als Teil eines interprofessionellen und interdisziplinären Teams verstehen und nicht alles auf ihre eigenen Schultern legen. 

Auseinandersetzung mit Kommunikation: elementar als Ärztin oder Arzt

In den sechs Jahren meines Studiums hatte ich nicht eine einzige Unterrichtsstunde dazu, wie man mit Krankenschwestern, Pflegern und anderen Berufsgruppen zusammenarbeitet. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß und mehr als ungenügend! Ich habe unlängst meinen jüngsten Assistenten gebeten, einmal zusammenzutragen, wie viele verschiedene interdisziplinäre und interprofessionelle Aktionen bei einer Patientin mit Eierstockkrebs gelaufen sind. Während der zwei Wochen in unserer Klinik waren das 144 aus unterschiedlichsten Professionen, die direkt und indirekt mit der Patientin befasst waren. All diese Menschen haben eher nebeneinander und unstrukturiert miteinander oder gar nicht kommuniziert. Und die Patientin sagt dann gar nicht so selten: "Es war keiner da, mit mir hat niemand gesprochen”.

Das heißt, dass nicht nur im Studium Kommunikation trainiert werden sollte, sondern auch im Rahmen der Weiterbildung und im Laufe des Berufslebens weiterentwickelt werden muss. Wir haben eine Untersuchung mit 1.500 Studierenden und Ärzten gemacht, die zeigte, dass Ärzte Angst haben vor der Übermittlung schlechter Nachrichten. Wir haben aber auch gesehen: je mehr sich ein Arzt oder ein Studierender mit dem Thema Kommunikation beschäftigt, desto weniger Angst hat er. Meine These ist: Die Beschäftigung mit Kommunikation mindert nicht nur die Angst, sondern auch die Gefahr des Burnout. Und wir wissen, dass wir (zu)viele im Gesundheitswesen verlieren. Das ist die Perspektive des Arztes, aber auch die Patientin braucht den Raum, sich mit ihrer Erkrankung auseinanderzusetzen und das proaktiv gemeinsam zu gestalten oder sich beispielsweise eine Zweitmeinung zu holen. Wir machen jetzt Kurse mit Selbsthilfegruppen, wo wir Patientinnen befähigen, selbst klinische Studien durchzuführen. Damit wird sich die Hierarchie zwischen Arzt und Patient weiter verändern. Man redet hier von Co-Scientists, wenn Patientinnen in die Forschung eingebunden werden. Das braucht natürlich Zeit und professionelle Strukturen. 

Personalisierte Medizin: viel mehr individuelle Faktoren berücksichtigen

Eines ist mir wirklich sehr wichtig: die Anforderungen an die Kommunikation werden künftig noch steigen - nicht nur, weil die Digitalisierung zunimmt, sondern weil die Therapien viel komplizierter und multimodaler werden. Wir müssen im Rahmen der personalisierten Medizin viel mehr individuelle Faktoren berücksichtigen - und diese müssen wir auch erklären, Schritt für Schritt!

Doch die Kommunikation wird in der aktuellen Diskussion zur personalisierten Medizin nahezu komplett ignoriert. Es gibt Streit darum, wer was bezahlt - in der Regel geht es um die Testung und die Therapie mit zielgerichteten Medikamenten- aber über das nötige Geld für die zusätzliche Er- und Aufklärung spricht niemand. Wir brauchen hier dringend einen Sinnes- und Strukturwandel. Das muss das Krankenhausgesetz klären. Wenn wir keine zusätzlichen Ressourcen für Kommunikation und Verbesserung der Strukturen bekommen, wird der Traum von der personalisierten Medizin zu einer Vision, die wir nie erreichen werden.  

Machen wir uns bitte endlich auf den gemeinsamen Weg des Perspektiv- und Strukturwechsels!